Selbstreflexion

Zuerst wollen wir uns im Namen des Frauen- und Queerstreikbündnisses Bremen nochmals für die solidarische Kritik von dem Colectivo Latinx por la Descolonización del Feminismo bedanken.

Es tut uns Leid, dass eine ausführliche öffentliche Reaktion erst jetzt kommt. Dies liegt daran, dass bündnisintern durch die Kritik vom Colectivo Latinx ein Reflexionsprozess angestoßen wurde, der noch in den anfänglichen Auseinandersetzungen steckt und ein Prozess sein wird und sollte, der nie zur Ruhe kommt. Wir möchten gerne unseren jetzigen Reflexionsstand öffentlich machen und vor allem mit denjenigen teilen, die ebenfalls ihre weißen, eurozentristisch geprägten Strukturen überdenken und aufbrechen sollten und wollen. Damit kolonialrassistische Strukturen, Denkweisen und Handlungen nicht weiter unbewusst reproduziert werden und Betroffene nicht weiterhin kostenlose Bildungsarbeit leisten müssen, müssen wir uns und unsere Privilegien miteinander und gegenseitig reflektieren – nur so können wir aus unseren eigenen und auch aus den Fehlern Anderer lernen.

Die solidarische Kritik hat uns bewusst gemacht, dass wir unsere Strukturen und Auseinandersetzung mit eigenen Rassismen stärker hinterfragen und reflektieren müssen.
Unsere Aktionen, die unzureichende inhaltliche Auseinandersetzung von dem Slogan “ni una menos”, welcher aus den lateinamerikanischen Kämpfen gegen Femizide und Feminizide entstand, in Kombination mit einem Aufruf zu einer Aktion an einem politisch historischem Tag ohne die gleichzeitige Sichtbarmachung der jeweiligen Hintergründe haben gezeigt, dass weiße und neokoloniale Strukturen in unserem Bündnis vorhanden sind. Wir haben uns einen Slogan angeeignet, ohne die Hintergründe vorher ausreichend eigenverantwortlich und -initiativ recherchiert zu haben. Auf unseren Plakaten zur Demo am 25.11.2020 waren zuerst ausschließlich weiß-gelesene Körper abgebildet, was uns durch den angestoßenen Prozess bewusst geworden ist und wir noch vor der Demo durch das Erstellen weiterer Plakate mit BIPoC- und PoC-Körper verändert haben.

Unser Handeln beziehungsweise Nicht-Handeln war unreflektiert. Dazu kommt, dass wir durch unsere (noch) nicht ausreichend geschehene und frühzeitige Vernetzung mit anderen Bremer Gruppen, die zu nicht-weißen Feminismen arbeiten, eben diese Lebensrealitäten nicht mit in den Prozess einbezogen haben. Durch dieses Handeln haben wir uns den Slogan angeeignet und nicht, wie wir es eigentlich wollten, solidarisch auf ihn Bezug genommen.
Wir verstehen uns gerade in Bezug auf den 25.11. als ein Bündnis, das gegen Gewalt an allen unterschiedlich positionierten Frauen und Queers einstehen möchte. Dafür streben wir zukünftig mehr Austausch und Zusammenarbeit mit verschiedenen Bremer Gruppen an, um Sichtbarkeiten verschiedener Lebensituationen aller Frauen und Queers zu erkämpfen.

Bereits zum Safe Abortion Day am 28.9. haben wir nicht öffentlich auf die Hintergründe des Tages aufmerksam gemacht und damit dessen Entstehungsgeschichte und die spezifischen Kämpfe und Erfahrungen von BIPoC und PoC unsichtbar gemacht. Das wir gleich zweimal einen ähnlich rassistisch geprägten Fehler begangen haben, führt uns doppelt vor Augen, dass wir noch viel zu tun haben und uns aktiv mit unseren weiß-eurozentris-tischen Perspektiven auseinandersetzen müssen.

Eine weitere Form der Unsichtbarbachung wurde uns durch die Kritik vom Colectivo bewusst. PoC, u.a. Latinas, aus dem Frauen- und Queerstreikbündnis haben sich leider von beiden Seiten übergangen und nicht gesehen gefühlt. Wir sind ein überwiegend weißes und eurozentristisch geprägtes Bündnis, das auch als ein solches wahrgenommen wird. Dies darf aber nicht dazu führen, dass BIPoC und PoC unseres Bündnisses nicht gehört und gesehen werden.
Wir müssen an Strukturen arbeiten, die allen Menschen im Bündnis Räume und Repräsentation ermöglichen.

Durch unsere bisherige interne Auseinandersetzung mit der Kritik haben wir festgestellt, dass BIPoC und PoC, die in unserem Bündnis organisiert sind, bedingt durch unser öffentliches Auftreten, nicht genügend Sichtbarkeit nach Außen und Innen erfahren haben. Dies ist ein weiterer Punkt, den wir dringend angehen müssen.

Wir sind kein homogen weißes Bündnis, dennoch sind wir uns bewusst, dass die Vorstellung eines herrschaftsfreien Feminismus als safe space naiv ist. Denn auch hierin werden gesellschaftliche Machtverhältnisse wie Rassismus reproduziert: Unser Feminismus ist westlich, weiß und akademisch geprägt. Deshalb ist es nötig, eine entschiedene, wenn auch nicht abschließbare, rassismus- und herrschaftskritische Praxis in unserem Bündnis zu etablieren. Eine Voraussetzung dafür muss sein, dass wir unser Weißsein kritisch sichtbar machen, hinterfragen und in eine Selbstreflexion gehen.

Wir haben beschlossen, uns kontinuierlich in unseren Arbeitsgruppen kritisch mit diesen Themen auseinanderzusetzen und unsere Privilegien möglichst zu teilen. Unteranderem lassen wir uns dabei von externen ausgebildeten Personen bezahlt begleiten.

Wir merken, dass wir in diesem Prozess bereits gelernt haben und sind zuversichtlich, dass wir mit der fortlaufenden Auseinandersetzung weiter daran wachsen werden. Mit dieser Veröffentlichung unserer bisherigen Reflexion hoffen wir, dass wir auch Reflexionsprozesse bei Anderen anstoßen.

Wir wollen nicht die gleichen Fehler wiederholen und zukünftig den Kampf gegen Rassismus und Neokolonialismus im Feminismus stärker machen.

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