Im November 2020 wurde Lina E. in Leipzig verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Lina E. war antifaschistisch aktiv. Für den deutschen Staat reicht das schon, um verhaftet zu werden und vor dem Bundesgerichtshof zu landen. Lina soll mit anderen Personen bei Angriffen auf die Eisenacher Neonazi-Szene, welche eine bedrohlich hohe Präsenz an gewaltbereiten Faschist*innen aufweist, dabei gewesen sein. Nun wird Lina von der Polizei und in den Medien als die Anführerin einer gewaltbereiten, linksterroristischen Organisation inszeniert. Von mehreren Personen, die damit in Zusammenhang gebracht wurden, wurde nach mehreren Hausdurchsuchungen Lina verhaftet. Per Helikopter und in Begleitung von einer Menge vermummter Mackerpolizist*innen wurde Lina nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof geflogen, denn mit der Begründung des §129, welcher die Bildung kriminieller Vereinigungen thematisiert, hat sich die Bundesanwaltschaft Linas Fall angenommen.
Linas Fall ist exemplarisch für die Kriminalisierung von antifaschistischem Aktivismus. Wie willkürlich
die Verhaftung und Anklage sind, wird besonders beim Betrachten von Teilen der Beweislage deutlich: eine Perücke, zwei Hämmer, die Messenger-App Signal. Ähnliche Fälle aus den letzten Jahren zeigen, dass das vermutlich auch der Polizei bewusst ist und das Verfahren und die Ermittlungen vor allem genutzt werden, um linken Aktivismus auszuleuchten und einzuschüchtern und einen (zumindest kurzfristigen) „Erfolg“ der eigens eingerichteten „Soko LinX“ vorweisen zu können. Die Polizei hat für ein ganzes Jahr (!) Lina und das Umfeld abgehört, private Pkws ausgehorcht, observiert und die Konten überwacht! Wie viele Personen müssen sich nun vor einer Verhaftung fürchten, nur weil sie Besitzer*innen dieser Dinge oder linksorganisiert sind? Ganz zu schweigen davon, wie viele Personen willkürlich überwacht werden. Und wie viele rechte Polizist*innen oder Nazi-Organisationen laufen immer noch ungestört und offensiv herum und können aktiv sein, trotz handfester Beweise von Waffenentwendungen und Waffenbesitz?
Einerseits wird Antifaschismus so stark kriminalisiert, andererseits bleibt Rechtsextremismus toleriert und gleichzeitig wird Lina in der JVA Chemnitz festgehalten, in der auch NSU-Gründungsmitglied Beate Zschäpe ihre lebenslange Strafe absitzt – die Hufeisentheorie lässt grüßen. Durch Polizei und Medien wird das Bild einer Anführerin einer terrorisistischen Organisation konstruiert, welches in Realität rein faktisch einfach kein Hand und Fuß hat. Es wird das Bild des gefährlichen Linksterrorismus aufbeschworen, welches seit der RAF ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt wurde. Gezielt, könnte mensch feststellen, denn welche terroristischen Anschläge wurden zuletzt in Deutschland verübt? Es waren rechtsterroristische Anschläge, die in Hanau und Halle passiert sind. Doch worauf wird das Scheinwerferlicht geworfen? Diese Anklage reiht sich in ein systematisches Vorgehen ein: Es wird das Vebot von antifaschisitischen Organisationen in Niedersachsen gefordert, neue Polizeigesetze werden erlassen und nun landet eine linke Aktivistin Lina vor dem Bundesgerichtshof. Umso wichtiger, dass linksradikale Strukturen stabil bleiben! Antifa bleibt Handarbeit!
Außerdem schaffen es weder die Polizei noch die Presse, den Fall unabhängig von ihren sexistischen und patriarchalen Vorstellungen zu betrachten. Für die Polizei stellt die Aussage, dass bei den Straftaten eine weiblich gelesene Person dabei gewesen sein soll, ein Hauptindiz für die Beteiligung von Lina dar. Als mutmaßlich einzige beteiligte Frau wird sie herausgepickt und als „Anführerin“ konstruiert. Und um dieses Bild weiter zu untermauern, geht die Polizei sogar noch weiter und vermutet willkürlich eine Beteiligung von Lina an allen „linksextremistischen Straftaten” der letzten Jahre im Leipziger Umkreis, bei denen angeblich eine Frau beteiligt gewesen sein soll. What the fuck, als gäbe es nur eine einzige linksradikale FLINTA* Person, die dafür möglicherweise in Frage käme? Und auch die Berichterstattung ist voll von sexistischer Kackscheiße: Journalist*innen kommentieren Linas Aussehen und Verhalten, veröffentlichen unverpixelte Fotos, wühlen ohne Respekt vor Privatsphäre in Linas Biographie herum, suchen den Grund für die politische Radikalisierung in Beziehungen zu cis Männern (anstatt mal auf die Verhältnisse zu schauen, die diese Radikalisierung erfordern) und zweifeln an Linas politischer Haltung, weil diese scheinbar so gar nicht zum Bild der “zarten, jungen, unschuldigen Frau” passt, als die Lina in den Medien oft dargestellt wird. Dieses Bild offenbart zugleich rassistische, klassistische Strukturen: Die Konstruktion als unschuldig, lieb und zart funktioniert nur, weil Lina als weiße, akademisch gebildete cis Frau dargestellt wird. Wäre Lina z.B. eine BIPoC Person, würde nicht studieren oder würde nicht als cis Frau dargestellt/gelesen, würde der Fall ganz anders konstruiert. Als politisch aktive FLINTA* Person wird Lina und Linas politischer Aktivismus nicht ernstgenommen.
All das ist ekelhafter Ausdruck der patriarchalen Verhältnisse, in denen wir leben, und macht uns extrem wütend! Wir sind wütend, kämpferisch und lassen uns von Polizei und cis Mackern nichts mehr gefallen! Fight the system!