Offener Forderungsbrief: Eure Finanzpläne entscheiden über unsere Gewalterfahrungen
Wir richten uns mit diesem Forderungspapier am internationalen feministischen Kampftag an die Bremer Landesregierung, insbesondere an die Regierungskoalition, also der Fraktionen SPD, die Linke sowie Bündnis 90/ Die Grünen, und vertretend an die Gleichstellungspolitischen Sprecherinnen, mit besonderer Dringlichkeit: In Deutschland erlebt alle vier Minuten eine Frau Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin. Und die Zahlen steigen. Zwischen 2021 und 2022 gab es laut Kriminalstatistik einen Anstieg von 9,4% in der häuslichen Gewalt. In Bremen gab es im Jahr 2022 2800 Fälle von häuslicher Gewalt, und ist das dritte Jahr in Folge gestiegen.
Diese Situation macht auch das Hilfesystem für Frauen und für TIAN* (trans, inter, agender und nichtbinäre Personen) immer wichtiger. Ob Frauenhäuser, Hilfetelefone oder Beratungsinstitutionen: Von Gewalt Betroffene brauchen Unterstützung, und die Träger, die diese leisten, brauchen Geld.
Nicht erst seit den aktuellen Sparmaßnahmen der Bundesregierung, sondern schon seit Jahrzehnten können viele Träger ihre Arbeit nur auf Sparflamme ausüben, während sich die Situation aktuell radikal verschärft. Das bedeutet zum Beispiel, dass Beratungsstellen keine Klient*innen aufnehmen können, Frauenhäuser lange Wartelisten haben und vieles mehr.
Für uns als Frauen, Lesben, inter, trans, nichtbinäre und agender, bedeutet das: Die Gefahr für uns und unsere Körper wächst. Und wenn die Gewalt eine*n von uns betrifft, ist nicht klar, ob es jemanden gibt, der uns hilft. Denn die Stellen sind unterfinanziert und überlastet. Deswegen fordern wir: unser Schutz muss finanziell eine Priorität sein. Dass es Prävention von patriarchaler Gewalt gibt, ist notwendig. Die Istanbul Konvention muss umgesetzt und eben auch ausfinanziert werden.
Lest hier was genau wir fordern:
1. Keine Kürzungen bei Geldern für Gewaltschutz.
Egal ob Beratung für Gefährdete, Hilfetelefone im Notfall oder Gewaltschutzeinrichtungen: kein Euro darf gekürzt werden. Nicht, nachdem all diese Einrichtungen sowieso knapp wirtschaften müssen und viele Bedarfe nicht decken können.
Besonders trifft das die Beratungsstelle Neue Wege. Nicht zuletzt, weil Sie entschieden haben, dass die Polizei Bremen ihnen zu beratende Fälle weiterleiten soll, fehlt es ihnen massiv an Beratungskapazität. Für einige Wochen mussten sie nun ihre Beratung für neue Klient*innen schließen. Selbst wenn also Menschen die Beratung dringend brauchen und wollen, kann Neue Wege ihnen keine anbieten.
Deswegen fordern wir: Die Stelle, die durch das Auslaufen des Corona Fond weggefallen ist, muss wieder geschaffen werden. Und zusätzlich braucht es mehr und nicht weniger Kapazität, damit sie dem gestiegenen Bedarf gerecht werden können. Also: Mindestens Zwei Berater*Innenstellen für Neue Wege.
2. Tariferhöhungen nicht auf Kosten der Träger.
Dass vielen Beschäftigten Tarifsteigerungen zu Gute kommen, begrüßen wir. Doch wenn bei gleichbleibender Finanzierung die Löhne steigen, können viele Träger ihre Angebote nicht beibehalten. Deshalb müssen Tarifsteigerungen refinanziert werden.
3. Finanzierung an Bedarfen bemessen.
Es darf keine Aufnahmestopps für Frauen in Not geben. Das bedeutet, dass die Finanzierung dieser Institutionen an die Bedarfe angepasst wird. Wenn Beispielsweise mehr Frauen einen Platz im Frauenhaus brauchen, müssten auch mehr Plätze geschaffen werden.
Das betrifft zum Beispiel die Beratungsstelle Notruf Bremen. Sie bieten psychologische Beratung für betroffene sexualisierter Gewalt an. Der Bedarf dabei ist gestiegen, gleichzeitig ist eine Förderung, die sie durch die “Aktion Mensch” hatten, weggefallen: Nun müssen Betroffene hier 12 bis 16 Wochen warten, bis sie Beratung in Anspruch nehmen können. Das kann so nicht weitergehen. Finanziert ihnen mindestens eine weitere Beratungskraft. Wir wissen, im Verhältnis zum Landeshaushalt machen die dafür nötigen bis zu 40.000 Euro wenig aus, gleichzeitig kann es für Betroffene entscheidend sein.
4. Gewaltschutzunterkunft für queere Menschen
In Bremen gibt es keine Gewaltschutzeinrichtung, die sich speziell an queere Menschen oder TIAN* richtet. Dabei haben diese oft spezielle Schutzbedarfe und nicht immer Möglichkeiten, im Hilfesystem unterzukommen. Wir fordern, dass da auf Hamburg geschaut wird, wo bereits eine solche Gewaltschutzeinrichtung geschaffen wurde.
All dies ist notwendig und entscheidend für von Gewalt Betroffene.
Wir wissen allerdings auch, dass es nicht ausreicht um das System von Gewalt gegen Frauen und Queers zu bekämpfen, denn es bekämpft vor allem die Folgen dessen. Die Finanzplanung muss deswegen auch auf die Zukunft ausgerichtet sein.
5. Prävention ausbauen, Geld in eine Gewaltfreiere Zukunft stecken.
Die hohen Zahlen von Gewalt gegen Frauen und TIAN* zeigen: In dieser Gesellschaft sitzen patriarchale Strukturen sehr tief. Ein Ziel wirksamer Politik kann hier nicht sein, bloß Betroffene zu unterstützen, sondern das Ziel muss bleiben, Gewalt zu verhindern. Dafür braucht es wirksame Präventionsprojekte, die ausreichend finanziert werden, wie zum Beispiel das Modellprojekt Tenever als Stadtteil ohne Partnerschaftsgewalt (StoP). Es beruht auf einem Konzept mit langfristiger Multiplikator*innenarbeit mit allen im Stadtteil, die bereit sind, gegen Partnerschaftsgewalt zu stehen. Diesen gemeinschaftlichen Ansatz finden wir sehr wichtig. Allerdings reicht die aktuelle Finanzierung nicht aus: nicht zufällig hat es lange gedauert, bis sich ein Träger gefunden hat, der bereit war, das Konzept umzusetzen. Und nun ist es gerade mal eine halbe Stelle, fast ohne weitere Mittel, die das Projekt umsetzen soll. Wenn ihr Präventionsarbeit ernst nehmt, muss das Budget mindestens verdoppelt werden, von 30.000 auf 60.000 Euro, damit es den Ansprüchen gerecht wird. Außerdem muss es zukünftig auch in anderen Stadtteilen ähnliche Projekte geben.
6. Jugendarbeit als wichtiger Baustein in der Prävention patriarchaler Gewalt.
Patriarchale Gewalt resultiert auf dem sexistischen System das viele von uns schon von klein an erlernen. Präventionsarbeit muss deshalb möglichst früh ansetzen. Es braucht Mädchenarbeit, in denen diesen auch der Zugang zum Hilfesystem erleichtert wird, es braucht Jungenarbeit in der diese lernen können, dass Sexismus auch sie betrifft und sie sich dagegen einsetzen können und sollen.
Das Projekt „Queere Bildung”, angesiedelt beim Rat&Tat Zentrum für Queeres Leben arbeitet mit ihrer Bildungsarbeit präventiv gegen queerfeindliche Gewalt. Wir teilen die Forderung einer bedarfsgerechten Aufstockung der Fördermittel für das Projekt auf eine Höhe von 120.000€ im Jahr, mindestens jedoch 80.000€ und eine Überführung des Projekts in die Strukturförderung.
Wir wissen auch, dass das Land Bremen insgesamt einen engen Finanzrahmen hat. Daher begrüßen wir es, wenn sich die Bremer Regierung auf Bundesebene gegen die Schuldenbremse und für mehr Investitionen für eine gerechtere Zukunft einsetzt. Wir begrüßen, wenn finanzpolitisch möglichst viele Rahmen ausgeschöpft werden, um Haushaltslücken zu schließen z.B. höhere Reichen- und Erbschaftssteuer oder eine Abschaffung der Bremer Schuldenbremse zum Beispiel mit Hilfe des kürzlich vorgeschlagenen Volksentscheids.
Alerdings muss klar sein: der Schutz von uns Frauen und TIAN* muss in jedem Fall eine Priorität sein. Lasst uns nicht alleine, und lasst die Träger nicht alleine. Denn eure Finanzpläne entscheiden über Gewalterfahrungen.
Mit freundlichen Grüßen,
Feministischer Streik Bremen