Redebeitrag Notruf Bremen

Hallo, ich spreche heute stellvertretend für den Notruf Bremen und alle Beratungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt über die aktuelle Situation in der Beratungsstelle und über die Folgen für die betroffenen Personen. Die Mitarbeiter*innen vom Notruf können aufgrund mangelnder Kapazitäten heute leider nicht hier sein.

Der Notruf ist eine Beratungsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Die Berater*innen beraten geschlechtsunabhängig alle Menschen ab 16 Jahren, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind.

Wie bei anderen Beratungseinrichtungen fußt das Konzept auf einem schnellen, unkomplizierten und niedrigschwelligen Angebot. Vor 3 Jahren konnten die Berater*innen Menschen, die sich an sie gewendet haben innerhalb einer Woche einen Termin anbieten.

Seit ca. 1,5 Jahren können sie dies nicht mehr. Es hat sich eine Warteliste etabliert. Diese ist mit stetig steigenden Beratungsanfragen dieses Jahr konstant zwischen 8 und 12 Wochen lang.

Das bedeutet, dass Menschen, die sich an den Notruf wenden, bis zu 3 Monate auf ein persönliches Beratungsgespräch warten!!!

Was bedeutet das für Betroffene von sexualisierter Gewalt?

Menschen, die Gewalt – sexualisiert oder häuslich – erleben, haben eine massive Lebensbedrohung und Verletzung ihrer Selbstbestimmung erlebt.

Für die Berater*innen geht es deshalb in ihrer Arbeit vor allem darum die Selbstbestimmung der Menschen, die sich an den Notruf wenden zu schützen und zu stärken.

Vor diesem Hintergrund verstehen sie ALLE Anfragen, die sie erreichen als akut – es spielt aus fachlicher Sicht keine Rolle, ob die Vergewaltigung am vergangenen Wochenende oder vor 2 Jahren passiert ist. Es gibt keinen allgemein gültigen „richtigen oder falschen“ Zeitpunkt, um sich Unterstützung zu holen.

Betroffene, die sich an den Notruf wenden, bringen enorme Kraft und Mut auf, um nach Unterstützung zu fragen – dieses Unterstützungsgesuch ist gleichzeitig mit Hoffnung und Veränderungswillen verbunden – es ist für die betroffene Person GENAU DANN ein „richtiger“ Zeitpunkt sich mit dem erlebten Übergriff zu beschäftigen.

Im inneren der Person macht sich „ein Fenster auf“ –

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie eine innere Reaktion aussieht, wenn die gemachte Anfrage nach Unterstützung verneint, vertröstet und auf eine Warteliste verschoben wird.

Neben verständlicher Enttäuschung können auch Ärger und Traurigkeit ausgelöst werden. Die vielleicht sowieso schon vorhandenen Gefühlen von Verlassenheit und Hilflosigkeit werden bestärkt.

Das „innere Fenster“ geht wieder zu.

Und wenn der Notruf sich nach Wochen oder Monaten bei den Betroffenen zurückmeldet, sind diese oft an einem anderen Punkt. Über die Wartezeit waren sie gezwungen ihr Anliegen „zu verschieben“.

Eine erneute Auseinandersetzung mit der Frage „Unterstützung JETZT ja oder nein“ kostet erneut Kraft und die Betroffenen verlieren durch die lange Wartezeit die Möglichkeit, selbst über den Zeitpunkt, an dem sie sich mit dem erlebten Übergriff auseinandersetzen wollen, zu bestimmen.

Studien zeigen, dass soziale Unterstützung die Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis mildern kann. Für die Entwicklung von Traumafolgestörungen spielt demnach also nicht nur das Erlebnis an sich, sondern vor allem auch die darauffolgenden Erfahrungen eine Rolle.

Betroffene brauchen schnell und unkompliziert Hilfe – genau dann, wenn SIE diese wollen.

Wartelisten verhindern eine persönliche positive Entwicklung nach gemachter Gewalterfahrung und führen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass psychische Probleme nach gemachten Gewalterfahrungen sich verfestigen und verstärken – und somit auch höhere Kosten für unser Gesundheitssystem entstehen.

Der prozentuale Anteil unserer Beratungstätigkeit ist in den letzten zwei Jahren auf 60% gestiegen – auf Kosten der Präventions- und Kooperationsarbeit.

Ein notwendiger und essenzieller Teil unserer Arbeit ist es jedoch über das Thema sexualisierte Gewalt aufzuklären und dafür zu sensibilisieren. Sollten wir auch zukünftig dafür weniger Kapazitäten haben, wird sich das Thema (sexualisierte) Gewalt gegen FLINTA* in unserer Gesellschaft weiter verfestigen!

Dies geht auf Kosten von Allen!


Hello everyone, today I am speaking on behalf of Notruf Bremen and all counseling centers for victims of sexualised violence about the severe situation at the Notruf and the consequences for the affected FLINTA*. Unfortunately, the staff from Notruf Bremen cannot be here today due to limited capacity.

Notruf Bremen is a counseling center for victims of sexualised violence. They provide support to all individuals aged 16 and above who have been affected by sexualised violence, regardless of gender.

Their concept is based on providing quick, uncomplicated, and easily accessible services. Three years ago, they were able to offer an appointment within a week to people who reached out to them.

Today there is a waitinglist ranging from 8 to 12 weeks due to the increasing number of counseling requests this year, due to missing capacities.

This means that individuals reaching out to Notruf Bremen have to wait up to 3 months for a personal counseling session!!! 3 months!

What does this mean for victims of sexualised violence?

Individuals experiencing violence, whether sexualised or domestic, have faced a significant threat to their lives and a violation of their autonomy.

Victims who reach out to Notruf Bremen demonstrate immense strength and courage in asking for help. This request for support is driven by hope and a desire for change. For the affected person, it is EXACTLY the “right” time to address the experienced assault.

Within them, “a window opens” –

It doesn’t take much imagination to understand the internal reaction when a request for support is denied, postponed, and put on a looong waiting list of 3 months:
Feelings of disappointment, anger, sadness, abandonment and helplessness arise.

The “inner window” closes again.

And when the Notruf contacts the victims after weeks or months, they are often at a different point.

During the waiting period, they were forced to “postpone” their concerns. Revisiting the question of “support NOW, yes or no” requires additional strength, and the long waiting time takes away their ability to determine when they want to address the experienced assault.

Studies show that social support can mitigate the response to a traumatic experience.

Victims need help quickly and without complications – exactly when THEY want it.

A long waiting time is likely to lead to the solidification and intensification of psychological problems following experiences of violence.

The percentage of the counseling work of the Notruf has increased to 60% in the past two years, at the expense of prevention and collaboration efforts.

However, it is necessary and essential for them to educate and raise awareness about sexualised violence. If they continue to have fewer resources for this in the future, the issue of (sexual) violence against FLINTA in our society will continue to solidify!

This comes at the expense of everyone!

We demand the full financial covering of the Notrufs work so that sexual violence can be prevented as much as possible and every person who reaches out to them gets the help they need at the time they need it.

No money, no prevention, no protection, no help!